Es war ein ganz normaler Tag… bis zu dem Moment als die Türe zur Klinik aufging und ein gut gekleideter Herr in Begleitung eines ernst dreinblickenden Soldaten eintrat.
„Guten Tag, ich komme vom Migrationsamt.“
Mein Puls schnellte in die Höhe und in meinem Gehirn jagte ein Gedanke den nächsten. Ist etwas mit meinem Visum? Darf ich eigentlich gar nicht arbeiten? Wo habe ich bloss die Telefonnummer der Anwältin aus Cochabamba?
Auch die Ärztin (USA) schaute etwas verwirrt und fragend drein.
Wir setzten uns alle auf die Stühle im Wartezimmer und warteten gespannt auf das, was nun gleich kommen würde. Nachdem der Herr vom Migrationsamt unsere Namen auf einer Liste abgehakt hatte, erklärte er uns den Grund seines Kommens: Alle Ausländer in Potosí müssten am kommenden Donnerstag um genau 18Uhr im Büro für Migration sein, um anlässlich des 213. Geburtstags von Potosí am grossen Umzug teilzunehmen. Dazu sollte jede Person mit der Fahne ihres Herkunftslandes mit marschieren.
Erleichterung machte sich in mir breit. Ich war zwar alles andere als begeistert von diesem Umzug, aber es war definitiv besser als Probleme mit dem Visum!
Während dem kurzen Gespräch, dass nach dieser Ankündigung noch folgte, musste ich 2mal klarstellen, dass ich nicht aus Schweden, sondern aus der Schweiz bin. Und nein, meine Fahne ist nicht die blau-gelbe, sondern die rot-weisse mit dem Kreuz. Und beim Abschied musste ich den guten Herrn erneut korrigieren was die Fahne anbelangte. Er meinte dann nur: „Keine Sorge, wir besorgen Dir schon die richtige Fahne.“
Na, da war ich ja mal gespannt! Eins war auf jeden Fall klar: Unter einer anderen Fahne würde ich keinen Schritt mitlaufen. Entweder die Schweizer-Fahne oder ich würde direkt wieder nach Hause zurückkehren. Genau wie die Bolivianer so habe auch ich meinen National-Stolz! 😉
Die beiden Herren verliessen die Klinik und zurück blieben ein paar perplexe Klinikmitarbeiterinnen. Die Direktorin und die Ärztin schauten mich beide an und erklärten mir gleichzeitig, dass das noch nie passiert sei. Noch nie hätten Ausländer an diesem Umzug teilnehmen müssen.
Der besagte Tag kam und ich war pünktlich um 18Uhr im Migrationsbüro. Die Ärztin und ihr Mann (eigentlich Ecuadorianer) waren auch schon dort, bereit mit ihrer riesigen USA-Fahne. Ich bekam „meine Fahne“ in die Hand gedrückt und es war doch tatsächlich eine Schweizer Fahne. Sie sah zwar ein bisschen anders aus als all die anderen Fahnen, aber das hatte seinen Grund: Das Migrationsamt hat von vielen Ländern die Fahnen im Büro gelagert, aber nicht von der Schweiz. Auch konnten sie nirgends eine kaufen und so haben sie kurzerhand eine Schweizer Fahne nähen lassen! Mega herzig, oder? Das machte mir die Leute vom Migrationsamt doch gleich viel sympathischer:-)
Mit nur ca. 30min Verspätung fügten wir uns in den riesigen Umzug ein. Links und rechts säumten die Zuschauer die Strassen. Ich kam mir schon ein bisschen komisch und ausgestellt vor und es dauerte einen Moment, bis ich mich daran gewöhnt hatte. Langsam, sehr langsam ging der Umzug Richtung Stadtzentrum. Immer wieder mussten wir stehen bleiben. Die Gruppe Mexikaner, die ein paar Meter vor mir lief, diskutierte während der ersten halben Stunde immer wieder, ob ich aus der Schweiz sei oder nicht. Schlussendlich kam dann einer und fragte nach. Als ich bejahte, ging er wieder zu seiner Gruppe, wo er einen kurzen Wortwechsel hatte und kam dann mit seiner Mexiko-Fahne wieder zurück. Er musste unbedingt ein Mexiko-Schweiz-Foto haben:-)
Bei der Gruppe von jungen Kolumbianern hinter mir, dauerte es etwas länger. Sie tuschelten und rätselten und ihre Argumente, warum das denn nun die Schweizerfahne sein musste oder auch nicht, waren sehr amüsant. Ganze 2 Stunden und ein paar Biere später getraute sich einer, angestachelt von seiner Gruppe, nach vorne und fragte mich nach meiner Nationalität. Wieder zurück bei seiner Gruppe wurde er wie ein Held gefeiert und ich bekam den Namen „Mamacita Suiza“, Mütterchen Schweiz. Warum auch immer…
Auch die Zuschauer nannten fleissig die Länder. Das tönte dann etwa so: MEXIKO! KOLUMBIEN! USA! ….ähm…Schweden!?/Schweiz!?/Rotes Kreuz!
Als wir endlich am oberen Ende des Hauptplatzes ankamen, dachte ich schon, dass ich es endlich geschafft hatte. Aber weit gefehlt. Das „Schlimmste“ sollte erst noch kommen. Der gesamte Platz und die umliegenden Strassen waren voller Leute. Keine Ahnung woher die alle kamen! Der Umzug führte einmal fast komplett um den Platz und am Ende vorbei an einer hellbeleuchteten Bühne, Kamera-Teams und allem drumherum. Das einzige was fehlte, war der rote Teppich.
An jener Stelle wurde jede Gruppe, die am Umzug marschierte, vorgestellt. Keine Ahnung wieviele Lautsprecher überall verteilt waren, aber es war auf jeden Fall sehr laut. Die Vorstellung unserer Gruppe lautete dann folgendermassen:
„Hier kommt das Amt für Migration. Wir haben auch Leute aus Mexiko in unserer Stadt. Aus Kolumbien, den USA, ähmm.. aus der ganzen Welt. Sie alle sind ganz legal im Land (!) und arbeiten hier. Sie haben den gleichen Wert und die gleichen Kompetenzen wie wir. Herzlich willkommen Brüder und Schwestern in Potosí!“
Nach dem wir die vielen Kameras und das Rampenlicht hinter uns gelassen und ich mich vom „Schrecken“ erholt hatte, musste ich dann doch lachen. Jetzt weiss wenigstens jeder in Potosí, dass ich legal im Land bin.
Am nächsten Tag kamen dann Bemerkungen wie: „Ich habe dich gestern beim Umzug gesehen. Also im Fernsehen.“
Ich habe ja mit Vielem gerechnet vor meiner Ausreise nach Bolivien, aber garantiert nicht damit, eines Tages im bolivianischen Fernsehen zu erscheinen!




Liebe Regina!!
Wir haben soeben diesen sehr amüsanten und interessanten Bericht gelesen…..danke dir ganz herzlich für all dein Mitteilen, das schafft Nähe trotz der grossen Distanz!!!
Hoffen sehr, dass es dir soweit gut gehen darf.
Der Herr sei dir nahe und halte weiterhin seine schützenden und segnenden Hände über dir, dies ist unser tägliches Gebet!
In IHM herzlich verbunden grüssen wir dich aus der frisch verschneiten Oberwis
Deine Tanti und Onkel Kurt