Nach dem ich wortwörtlich in der halben Weltgeschichte herumtelefoniert und mit wildfremden Menschen gesprochen hatte, bekam ich schlussendlich die Nummer von einer Frau namens Reina. Keine Ahnung wer das war, wo genau sie wohnte, etc. Alles was ich wusste, war, dass sie in eine christliche Gemeinde geht und mit ein paar anderen Frauen schon ein paar mal auf dem Hügel war und daher bereits ein paar Familien der Minenarbeiter kannte.

Ich meldete mich also bei ihr, erklärte wer ich war und fragte sie, ob sie bereit wäre, mir etwas mehr über diese Leute zu erzählen. Postwendend kam eine Nachricht zurück, welche lautete: „Wir planen gerade ein Weihnachts-Nachmittagsprogramm für die Kinder in diesem Viertel. Kannst du bitte auch an die Organisationssitzung kommen um 20:30Uhr?“

Eine Sitzung um 20:30Uhr? Das bedeutete im Klartext dann wohl, dass der Start der Sitzung um etwa 21:30Uhr sein würde. Und so war es dann auch tatsächlich:-)

Ich nahm also an dieser spätabendlichen Sitzung teil, mit dem Ziel, ein paar neue Infos zu bekommen und vielleicht ein paar mögliche Kontaktpersonen kennenzulernen. Aber gäll, da ich ja in Bolivien bin, ist natürlich alles ein bisschen anders gekommen. Nein, nein, nicht schlimmer, sondern einfach anders als erwartet.

Gleich zu Beginn der Sitzung stellte mir Reina die anderen Frauen vor und meinte dann: „Und mit Regina haben wir nun eine weitere Person im Team.“ 

Stopp, halt! Wie bitte?? Ich musste mich wohl verhört haben… oder irgendwie den Teil mit der Frage „Regina, willst du mitmachen?“ nicht mitbekommen haben. Aber es war effektiv so: innert 2 Minuten war ich Teil des Organistations-Teams, musste mitentscheiden und wurde für Aufgaben eingeteilt. 

Aber es war ja nur für dieses eine Programm und so machte ich mit.

Am Ende der Sitzung stand unter anderem auch fest, dass wir alle in der darauffolgenden Woche mit dem Bus zu den Minen hochfahren würden, um die Einladungen und ein paar Traktate unter den Kindern und ihren Familien zu verteilen.

An besagtem Tag stand ich also um 7:30Uhr an der Strasse und wartet auf den Micro-Bus 70. Diesen sollte ich laut den anderen nehmen, um bis nach K`asa zu fahren. Dort würden wir uns treffen und gemeinsam mit dem Bus bis ganz nach oben auf den Hügel fahren, bis zur Endstation.

Ich wartete vergebens. Kein Micro-Bus 70, auch kaum andere Busse waren zu sehen. Wie sich herausstellte, streikten die Busfahrer genau heute. Super Timing, oder? 

Schlussendlich traf ich mich mit Reina und wir nahmen ein Taxi bis K`asa. Dort angekommen führte mich Reina durch ein paar Gässchen zu einer unscheinbaren Kreuzung, von wo aus die Busse bis zu Endstation auf dem Hügel fahren. Als die anderen drei Frauen ein paar Minuten später zu uns stiessen, war unsere Gruppe komplett und wir stellten uns in die Reihe, um in den Bus einzusteigen. Ja, tatsächlich. Es gab eine Reihe, wo man sich anstellen musste. Das habe ich ja noch nie gesehen in Bolivien. Hier bei den Minen herrschten wohl andere Gepflogenheiten.

Als wir dann endlich oben ankamen und ausgestiegen waren, kam ich mir wieder wie in einer anderen Welt vor.

Windig, heiss, trocken, steinig und absolut karg. Ein paar behelfsmässig eingerichtete Verkaufsstände säumten den kleinen Platz, auf dem der Bus kehrte. Vor einem der Stände befand sich eine Gruppe Männer im mittleren Alter und mit Bierdosen in der Hand. Obwohl es erst ca. 9:30Uhr war, waren sie schon ein bisschen mehr als nur angetrunken. Die ganze Atmosphäre wirkte unheimlich ruhig und niederdrückend.

Einer der Verkaufsstände gehörte Paulina. Sie und ihre 6 Kinder waren den anderen Frauen bereits bekannt. Sie stellten mich Paulina vor und so lernte ich die erste Familie kennen. Ok, wenigstens die Mutter und den 14-jährigen Sohn.

Wir teilten die Einladungen und Traktate unter uns auf und machten uns dann zu Fuss auf den Weg nach unten zur Hauptstrasse. 

Bereits nach ein paar Metern kamen wir an einem leerstehenden Schulhaus vorbei. Wie ich erfuhr, hatten die Wände des Schulhauses aufgrund der Minenarbeiten und Sprengungen im Berg bereits tiefe Risse in den Wänden und war nicht mehr sicher.

Es gibt zahlreiche Minen und jede scheint für sich zu arbeiten. Es gibt keinen Plan, wo welche Stollen sind und wenn gesprengt wird, dann kann es sein, dass ein bisschen mehr weggesprengt wird als eigentlich geplant war … Was dann passiert, kannst Du dir ja denken. Der ganze Berg ist als ein eher unsicherer Ort.

Die Häuser der Leute sind aus Steinen gebaut und oft sehr klein. Meistens irgendwo neben oder ganz in der Nähe eines Mineneingangs damit man ihn auch gut bewachen kann. Von aussen wirkte es oft, als seien es nur ein oder zwei Räume. Die Fenster sind klein und oft nur auf einer Seite des Hauses. Ob da wohl ausreichend Licht reinkommt? Und wie eine Grossfamilie auf so kleinem Raum wohnt? Und die Toiletten! Ich konnte es selber fast nicht glauben, aber angeblich haben viele Leute hier keine Toilette, sondern suchen sich irgendwo ein Plätzchen draussen… und fliessendes Wasser gibt es oft auch nicht.

Unser Weg führte uns an den unterschiedlichsten Häusern und Leuten vorbei. Einige waren dem Rest der Gruppe bereits bekannt und andere Leute durften wir neu kennen lernen.

Obwohl die meisten Personen ein Lächeln im Gesicht hatten, passte ihre Stimme und Körperhaltung selten dazu. Wenn sie dann erzählten, waren es meistens Probleme und der Gesichtsausdruck wurde ernst. Oft hatte ich das Gefühl, von absoluter Resignation und purer Hoffnungslosigkeit umgeben zu sein. Irgendwie ja auch verständlich wenn man die Umstände sieht, in denen sie leben.

Aber nicht alles war so traurig und ernst.

Bei einem Mineneingang würde ein älteres Ehepaar leben, wurde uns gesagt. Da ihr Haus mehr oder weniger an unserem Weg lag, beschlossen wir, dort vorbei zu schauen. Wir trafen tatsächlich das älter Ehepaar an und auch ein paar jüngere Minenarbeiter. Wie die meisten älteren Leute, so sprachen auch diese beiden praktisch nur Quechua. Alles, was sie mir sagten, musste ich mit einem Schulterzucken beantworten. Ich verstand rein gar nichts von der Unterhaltung und war froh, dass die anderen Frauen der Gruppe alle Quechua konnten. Dem Lachen nach schloss ich aber auf ein amüsantes und entspanntes Gespräch. Zum Schluss sagte mir Reina einen Satz auf Quechua und forderte mich auf, den dem älteren Paar zu sagen. Ohne zu wissen, was ich da sagte, wiederholte ich den Satz.

Wieder unterwegs, wollte ich natürlich wissen, was ich da gesagt hatte und Reina erzählte mir daraufhin von dem Gespräch. Angeblich wollten die beiden „die Ausländerin“ behalten. Reina erklärte, dass ich (die Ausländerin) noch eine andere Arbeit hätte, wir aber alle bald wieder zu Besuch kommen würden. Ich selber sollte das den beiden auch noch bestätigen und hatte darum auf Quechua versprochen, dass ich wieder kommen würde:-)

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