Eines schönen Tages bekam ich von Daisy, einer bolivianischen Mitarbeiterin, eine Einladung in die Hand gedrückt. Es war die Einladung zur Geburtstagsfeier ihres Sohnes, welcher anfangs Oktober 1 Jahr alt wurde. Sie fragte mich wiederholt: „Gäll, du chunnsch dänn au??“ Irgendwie schien es ihr sehr wichtig zu sein und so versprach ich, auch zu kommen. Und einmal mehr durfte ich eine Lektion in „Bolivianischer Kultur“ lernen.

Als der grosse Tag schliesslich gekommen war, machten wir uns als Klinik-Team gemeinsam auf den Weg. Die Feier sollte um 16 Uhr beginnen. Daisy äusserte im Vorfeld mehrmals, dass sie auch wirklich dann anfangen wollte und „beizeiten“ Schluss sein sollte. Ja, Daisy ist nicht die typische Bolivianerin. Aber was will man machen wenn der Rest der Familie den Wunsch nicht respektiert??

Unser Team kam also „pünktlich“ um 16:20Uhr an und ausser uns und einer anderen Person war noch niemand da. Der Raum, in dem die Feier stattfand, war liebevoll gestaltet und aufwändig dekoriert. Bis ins kleinste Detail! Da steckte wahrlich viel Liebe und Arbeit dahinter! 

Daisy bat uns, an den beiden vordersten Tischen Platz zu nehmen. In der ersten Reihe sozusagen. Und dann durften wir uns auch gleich am Buffet bedienen. 

Buffet – ständig wurde es neu aufgefüllt. Es war nie leer!

Gegen 17 Uhr erschien dann ein Clown. Ja, du hast richtig gelesen. Clowns gehören hier zum Standard-Programm. Allerdings war immer noch niemand der anderen Gäste gekommen. Also musste auch der Clown warten;-)

Als dann endlich nach und nach die Gäste mit ihren Kindern eintrafen, konnte der Clown mit seinem Programm beginnen. Die Kinder und die Erwachsenen waren hellauf begeistert und spielten alles mit, was der Clown sagte. Einzig unser Tisch beobachtete das ganze Treiben eher skeptisch. 

Während die Kinder (und die Erwachsenen) ihren Spass hatten und die Party allem Anschein nach voll und ganz genossen, lernte ich so einiges:

  • der 1. Geburtstag ist sehr, sehr wichtig in Bolivien! Es wird ein grosses und aufwändiges Fest erwartet.
  • Die Feier ist eigentlich eine Mischung aus Spassprogramm und Essen und mehr für die Erwachsenen als für das Geburtstagskind gedacht.
  • Das Geburtstagskind selber ist eigentlich nicht so wichtig oder im Mittelpunkt.
  • Es werden nebst der Familie auch alle Freunde und Bekannte eingeladen, die Kinder haben. Es muss eine richtige Kinderschar sein. Das Geburtstagskind soll viele „Freunde um sich haben“ und ausserdem kommt ja ein Clown;-)
  • Der Clown gehört einfach dazu. Wenn man Pech hat, ist es ein schlechter Clown mit schlechten Witzen und Sprüchen und das Programm wirkt eher belästigend, vor allem für die Erwachsenen. Wenn man sehr viel Glück hat, ist es ein richtig guter Clown, der es versteht, die Kinder zu begeistern.
  • Die Kinder werden auch richtig verwöhnt mit allerlei kleinen Dingen oder Süssigkeiten und zum Schluss erhält jedes Kind eine Überraschungstüte.
  • Der Höhepunkt und somit das Wichtigste ist die Torte. Vorher sollte man die Party nicht verlassen.
  • Was mich aber fast vom Stuhl fallen liess, war folgendes: Die Planung, das Organisieren und Vorbereiten eines solchen Festes kann locker 6 Monate (oder sogar mehr) dauern!!

Ich weiss ehrlich gesagt nicht, was ich sagen soll. Armes Geburtstagskind? Oder doch eher armes Mami und Papi?

In dieser Kultur braucht es schon sehr viel Mut und Rückgrat, wenn man andere Wege gehen möchte als die Gesellschaft „vorschreibt“ und erwartet.

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