Ja, ich bin ganz ehrlich und gebe es zu: Was mich innerlich immer wieder fast zur Weissglut brachte und wofür ich bis vor Kurzem absolut kein Verständnis hatte, war die weit verbreitete Inkompetenz (in meinen Augen) und das fehlende „Fachwissen“.
Gehe ich in die Papeterie und frage nach einem bestimmten Produkt, so kennen sie es nicht. Nach mehrmaligem Beschreiben bekomme ich dann zu hören: „Ach so, du meinst …“ und ich bekomme ein Wort gesagt. Beim nächsten mal verwende ich genau dieses Wort und niemand weiss, was ich brauche. Dafür bekomme ich nach dem Erklären ein weiteres, komplett anderes Wort für denselben Gegenstand.
In der Apotheke möchte ich sterile Folie kaufen. Die Verkäuferin behauptet steif und fest irgendetwas zu diesem Produkt, was absolut nicht stimmte. Es war so offensichtlich falsch und hätte sie die Packung genauer angeschaut, hätte sie es wissen können.
Warum bloss wird einfach immer etwas behauptet? Warum können die Leute sich nicht wenigstens ein bisschen mit der Materie auskennen, mit der sie arbeiten?
Und dann kam jener Abend, an dem sich meine Einstellung zu diesem Thema veränderte und ich zu verstehen begann.
Ich war mit einer Freundin und ihrem Mann beim Pizzaessen und dabei sprachen wir über alles mögliche. Plötzlich meinte sie: „Regina, kennst du schon den Witz mit den bolivianischen und peruanischen Fröschen?“ Als ich verneinte, nahm sie zwei Gläser und stellte sie vor mich hin. Dann erzählte sie: „Stell dir vor, dass in einem Glas bolivianische Frösche sind und im anderen peruanische. Die Frösche versuchen alle aus dem Glas zu kommen. Wenn ein peruanischer Frosch den Rand des Glases erreicht, dann helfen ihm die anderen Frösche indem sie ihn von unten stützen und hochstossen, sodass er heraus kann. Wenn hingegen ein bolivianischer Frosch den Rand erreicht, dann ziehen ihn seine Genossen herunter, damit er ja nicht raus kann und sie alle gemeinsam drinnen bleiben.“ Was meine Freundin dann aber noch hinzufügte, war: „Weisst du, eigentlich ist es nicht einfach nur ein Witz, sondern traurige Realität bei uns in Bolivien“.
Dass man in Bolivien nichts hinterfragen und einfach auswendig lernen soll, war mir ja schon bestens bekannt. Nun aber lernte ich, dass man als Angestellter auch nicht mehr wissen darf/soll als der Chef. Wenn das nämlich der Fall wäre, könnte dieser sich bedroht fühlen und die Kündigung wäre einem ziemlich sicher. Hat man mehr Fachwissen oder ist in seinem Beruf irgendwie besser als die restlichen Mitarbeiter, so ist die gängige Reaktion das Mobbing.
Es gibt also null Grund oder Motivation zu lernen und sich zu verbessern, um (beruflich) weiter zu kommen. Dieses Nichtwissen (wollen), oder einfach etwas behaupten, hat also auch eine gewisse Schutzfunktion im Berufsleben. So betrachtet ergibt nun alles irgendwie Sinn und ich kann das Verhalten der Leute besser verstehen und ein Stück weit auch akzeptieren.
Ein weiteres kulturelles „Mysterium“ wäre somit geklärt:-)