Normalerweise findet meine Arbeit ja ausserhalb des Sprechzimmers statt, aber hin und wieder werden wir von der bolivianischen Ärztin hereingebeten um bei irgend etwas zu assistieren, oder uns eine Patientensituation anzuschauen und ihr zu helfen:

  • Da war diese eine Frau, die eigentlich wegen etwas eher harmlosem kam. Bei der Untersuchung fiel uns eine grosse, breite Narbe im Nacken auf, die sich bis in die Haare hinaufzog. Darauf angesprochen, brach die Patientin in Tränen aus und erzählte uns ihre Geschichte und wie sie von ihrem Mann über Jahre hinweg misshandelt und geschlagen wurde/wird. Der eigentliche Grund für den Arztbesuch trat komplett in den Hintergrund.
  • Eines schönen Tages kam ein älterer Herr in Begleitung seiner zwei Söhne in die Klink. Sie waren bereits eine gute Weile im Sprechzimmer, als Lis, die Ärztin, mich rief. Ich sollte mir die  geschwollenen Beine des älteren Mannes anschauen. Dies tat ich und stellte auch eine Menge Fragen, welche vom Patienten und den beiden Söhnen bereitwillig beantwortet wurden. Schnell stand fest, dass es ein „Venen-Problem“ war und der gute Herr Kompressionsstrümpfe benötigte. Die Erklärung des Problems schien den beiden Söhnen einzuleuchten, allerdings nur für 30 Sekunden. Dann kam die Aussage von den beiden, dass es sich aber sicherlich von alleine wieder regeln würde und ihr Vater bald wieder gesund sei. Die nächste Erklärungs-Runde startete und wir erklärten ihnen, dass die Venen bereits „alt und ausgeleiert/kaputt“ seien und nicht wieder so werden, wie bei einem 20-jährigen. Das schienen sie zu verstehen und nickten mit dem Kopf. Nach einer kurzen Pause meinte der eine Sohn dann, dass es zwar logisch sei, aber man müsse nur positiv denken und das Problem verdrängen, dann werde man wieder gesund. Das sei doch immer so. Wir liessen es irgendwann dabei bleiben und stellten ihm ein Rezept für Kompressionsstrümpfe aus. Dem Patienten, welcher auf dem Land wohnte und den ganzen Tag auf dem Feld arbeitete, rieten wir, sich hin und wieder auszuruhen und die geschwollenen Beine wenigstens für ein paar Minuten hochzulagern. Dies wurde vom Patienten jedoch vehement abgelehnt. Wie wir uns dass den vorstellen würden! Er könne doch nicht einfach die Beine hochlagern und seine Arbeit unterbrechen! Alle seine Nachbarn würden ihn dann ja für eine faule Person halten. Das ginge wohl gar nicht!
  • Kurz vor Arbeitsschluss humpelte eine Patientin durch die Kliniktür. Sie stützte sich stark auf ihre Begleitperson, die sich als Sohn herausstellte. Bald darauf kam auch noch ihr Ehemann hinzu. Die Frau hatte auf ihrem Schienbein eine grosse Naht, die stellenweise offen war. Einen Verband oder Pflaster hatte sie nicht. Rund um die Naht und Wunden herum hatte sie Aloe-Vera-Blätter gelegt gegen die Schmerzen. Das weisse Zeugs, welches um und teilweise über den Wunden klebte, war die Innenhaut von Eierschalen. Die Familie erzählte uns, dass die Frau vor einer guten Woche vom Töff gefallen war und sich eine Wunde zugezogen hatte. Im Spital wurde die Wunde dann „gewaschen und genäht“ und die Patientin mit Antibiotika und Schmerzmittel nach Hause geschickt. Am Tag darauf war wohl eine Stelle der Naht geschwollen und darum wurden dort kurzerhand die Fäden gezogen und die Patientin wieder nach Hause geschickt. Es wurde aber logischerweise nicht besser, sondern eher schlimmer und darum war sie nun bei uns. Wir entfernten erst einmal die Aloe-Vera-Blätter und die Eierschalenhaut. Wie ich befürchtet hatte, war alles rundum geschwollen, überwärmt und rot sowie stellenweise nekrotisch. Eine richtige Wundinfektion. Ich fing gar nicht erst an mit der Wundbehandlung, sondern riet der Ärztin, die sich bis dahin im Hintergrund gehalten hatte, diese Patientin direkt ins Spital zu schicken. Diese Wunde/Naht musste komplett geöffnet und richtig gereinigt werden. Doctora Lis informierte dann die Familie offiziell, dass sie noch am gleichen Tag ins Spital gehen sollten. 

Mit den Spitälern, beziehungsweise den dortigen Ärzten ist es manchmal wie „russisches Roulette“. Ich hoffe wirklich von Herzen, dass an jenem Abend ein kompetenter Arzt Dienst hatte und die Patientin richtig versorgt wurde.

Fairheitshalber muss man auch sagen, das die Medizinstudenten oft ausgenutzt werden, ihnen Dinge beigebracht werden, „die man schon immer so gemacht hat“ und hinterfragen nicht erwünscht ist. Die jungen Ärzte geben dann ihrerseits wieder einfach weiter, was man ihnen beigebracht hatte.

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