Leben in Potosí ohne eine Mine besucht zu haben, geht auf gar keinen Fall! Daher habe ich mich kurzerhand für eine Tour angemeldet und, wie könnte es auch anders sein, eine weitere Privat-Tour erhalten weil es einfach keine weiteren Touristen hatte.
Juan Carlos, der Führer, holte mich in der Klinik ab und brachte mich als erstes zum Markt der Minenarbeiter. Dort bekommt man alles, was man benötigt, um in den Minen zu arbeiten: Von Kleidern und Stiefeln über Werkzeuge bis hin zu Koka-Blättern, Dynamit und Zündschnur. Alles frei erhältlich.


Nach einer kurzen Fahrt erreichten wir die ersten Mineneingänge und auch die mittlerweile stillgelegte Anlage, welche früher zur Weiterverarbeitung der „Steine“ diente.


Hier erfuhr ich genaueres zum ganzen „Prozess“ und auch das Minenarbeiter nicht gleich Minenarbeiter ist. Es gibt nämlich die armen und die reichen Minenarbeiter. Die wirklichen Minenarbeiter (arm) sind diejenigen, welche das Gestein aus dem Berg holen. Danach kommen Lastwagenfahrer und kaufen eine Lastwagenladung dieses Gesteins, also etwa 10 Tonnen für ca. 300 Dollar (hängt vom jeweils aktuellen Silber/Mineralkurs ab). Die Ladung wird in spezielle „Fabriken“ gebracht und dort weiterverkauft. In diesen Fabriken wird das Gestein verarbeitet und einige Mineralien gewonnen. Der Rest wird ins Ausland verkauft, wo es andere, bessere Anlagen hat und noch ein Vielfaches an Rohstoffen/Mineralien aus den Steinen geholt werden kann.
Die „Minenarbeiter“, die so eine kleinere Fabrik besitzen, sind die reichen „Minenarbeiter“.

Nach dieser Einführung ging es noch ein weiteres Stück den Berg hoch mit dem Auto, bis wir schliesslich bei einer kleinen Mine namens Viscachani ankamen. Hier bekam ich auch meine „Ausrüstung“ um die Mine zu betreten: Ein paar Gummistiefel, die gefühlt 2 Nummern zu gross waren. Vom Profil der Sohlen spreche ich lieber gar nicht. Einen Helm, der viel zu gross war und durch das Gewicht der Stirnlampe ständig ins Gesicht rutschte oder runterzufallen drohte. Eine Regenjacke mit viel zu langen Ärmeln, die sich nicht wirklich hochkrempeln liessen. Das einzige, was einigermassen problemlos passte, waren die ebenfalls zu grossen Überziehhosen. So ausgerüstet stiegen wir über ein paar Felsblöcke zum Mineneingang hoch. Dort trafen wir auch schon auf den ersten Arbeiter, einen „alten“ Freund und Bekannten von Juan Carlos. Es folgte ein kurzer Schwatz und dann ging es ins Innere des Berges. Nach eine paar Metern war nichts mehr vom Tageslicht zu sehen. Die Gänge waren schmal, der Boden schlammig und immer wieder zweigten Gänge ab. Wer sich hier nicht wirklich 100% auskennt, ist nach den ersten Abzweigungen bereits hoffnungslos verloren. Ein wahres Labyrinth!


Nach einer Weile schloss ich Bekanntschaft mit dem ersten „Tío“ (Teufel). Juan Carlos entfernte einen Zigarettenstummel aus dem Mund des „Tío“ und steckte eine neue, brennende Zigarette hinein. Diese soll ihn gnädig stimmen und uns vor Schaden bewahren.

Weiter ging es, bis wir an eine Holzleiter kamen, die nach oben führte. Da aber von irgendwoher Wasser in diesen Bereich der Stollen sickerte, konnten wir dort nicht hoch. Es waren gerade mehrere Arbeiter damit beschäftigt, die Stollen soweit auszubessern, dass sie einigermassen wieder passierbar waren.
Wir kehrten um und kamen wieder am „Tío“ vorbei, der in der Zwischenzeit auch die Zigarette komplett geraucht hatte. Für die Minenarbeiter ist das ein gutes Zeichen, denn es bedeutet, dass der Teufel ihr Opfer angenommen hatte.
Auf die Frage, ob es mir gut ginge, antwortete ich mit Ja. Juan Carlos schaute mich kurz an und meinte dann: „Ok“. Und statt wieder zum Eingang der Mine zu gehen, bog er ein paar mal ab und führte mich weiter in den Berg hinein. Plötzlich standen wir vor einer wackligen Holzleiter. Oben ankommen, befand ich mich in einem mehr oder weniger engen Schacht, der weiter nach oben führte. Keine Leiter, keine Griffe, kein Seil. Nur loses Gestein. Es blieb mir nichts anderes übrig, als hinter meinem Führer hochzuklettern. Dass ich dabei mit einer Hand immer wieder den Helm festhalten musste, mir die langen Jackenärmel wiederholt in die Quere kamen und ich auch gleichzeitig darauf achten musste, dass ich meine viel zu grossen Stiefel nicht verlor, machten das Ganze zur wahren Herausforderung.
Ausser Atem kam ich schliesslich in einer grösseren Höhle an. Die Luft war stickig und die über 4000m.ü.M machten sich auch bemerkbar. Es ging weiter bergauf, mal kletternd, mal gebückt gehend und ich konzentrierte mich darauf, all die schwarzen Löcher und Abgründe zu ignorieren, die sich immer wieder auftaten oder am Rand derer ich irgendwie vorbei klettern musste. Ich wollte auch nicht wissen, wie alt die morsch aussehenden Bretter waren, über die ich balancierte um diverse Abgründe zu überqueren. Ich hoffte einfach, dass sie hielten.



Irgendwann erreichten wir eine kleine Nische, an deren Ende ein weiterer „Tío“ sass. Links und rechts gab es Sitzgelegenheiten und wir machten eine Pause. Juan Carlos erzählte mir mehr über über den „Tío/Teufel“ und das Arbeiten in den Minen. Ausserdem erfuhr ich, was das allerschlimmste für einen Arbeiter ist: Kein Licht mehr zu haben! Da es komplett dunkel und auch total still ist (abgesehen von den gelegentlichen Detonationen), verliert der Körper bald den Orientierungssinn/Gleichgewicht. Der Arbeiter kann nicht einfach warten, bis ihn vielleicht jemand sucht und findet, dass wäre sein Todesurteil. Nein, er muss sich zwingend bewegen und versuchen, irgendwie einen der Ausgänge zu erreichen. Ein Unterfangen, welches oft mit tödlichen Folgen verbunden, aber dennoch seine einzige Hoffnung ist.
Diese Tatsache hat mich noch eine ganze Weile beschäftigt. Ist es im Leben nicht ähnlich? Das Leben passiert und wir müssen vorwärtsgehen. Ob es uns gefällt oder nicht. Ob der Weg einfach ist oder nicht. Harmlos oder gefährlich. Wie viel besser hat es doch derjenige, der seinen Lebensweg im/mit Licht geht!

Nach der äusserst lehrreichen Pause ging es auf angenehmeren Wegen weiter, richtung Ausgang. Ein paar Meter vor dem Ausgang (man konnte das Tageslicht bereits sehen) trafen wir auf einen anderen Arbeiter, ebenfalls ein guter Bekannte von Juan Carlos. Wir setzten uns und plauderten auch mit ihm noch eine Weile.
Als wir schliesslich wieder ins Tageslicht hinausgetreten waren, sah ich ein gutes Stück weiter unten das Auto stehen und den Mineneingang, durch welchen wir 2 Stunden zuvor in den Berg eingetreten waren.
Über loses Geröll stiegen wir den Berg hinunter zum Auto und verliessen dann die „Welt der Minen“ um wieder in die Stadt zurückzukehren.

