Eine neue Nachricht von Sara erreichte mich via WhatsApp.
Sie wollte wissen, ob ich Zeit und Lust hätte, am Freitagnachmittag bei einem Simulationstraining als Patient mitzumachen; es wäre jeweils ganz interessant.
Was auch immer das genau heissen mochte…, aber egal. Ich würde es dann schon noch herausfinden. Diese Gelegenheit konnte ich mir definitiv nicht entgehen lassen, auch wenn ich Simulationstraininge hasse.
Ich sagte zu und stand dann pünktlich an der mir mitgeteilten Adresse. Es war der Haupteingang einer Firma, welche mit Thermoelektrik und Hochspannungsleitungen/Strom arbeitet.
Spannend! Im wahrsten Sinn des Wortes.
Vivi vom Roten Kreuz holte mich ab und brachte mich in einen der Schulungsräume, wo bereits eine weitere Person/Patient wartete. Und nun bekam ich auch weitere Informationen. Wie sich herausstellte, machte einen Teil der Mitarbeiter einen mehrtägigen Kurs in „Erster Hilfe“ und das Simulationstraining war der letzte Teil und zugleich auch die praktische Prüfung. Nach bestandener Prüfung würden sie ein Zertifikat erhalten und sonst halt wenigstens eine Teilnahmebestätigung.
Meine Rolle sollte folgende sein: Ich wurde bei einem Firmenfest, welches ausser Kontrolle geraten war, versehentlich von der Terrasse im 1. Stock gestossen und hatte einen offenen Oberarmbruch. Vivi bastelte ein bisschen an mir herum, dekorierte mich mit diversen Wunden, fixierte den „Knochen“ und versah alles mit reichlich „Blut“.
„Schauspielern und ich“ das alleine ist schon eine ziemlich schlechte Kombination. Aber das alles auf Spanisch?? „Das kann ja nur in einer Katastrophe enden.“, dachte ich mir. Bis mir die rettende Idee kam: Ich schlug Vivi vor, dass ich doch eine Patientin spielen könnte, die nur Englisch spricht. Immerhin sei es eine internationale Firma und im Alltag kann es ja auch sein, dass man fremdsprachige Patienten hat.
Zu meinem grossen Erstaunen fand sie das super und war sofort damit einverstanden.
Als wir, die beiden Patienten, fertig hergerichtet waren, wurden wir im Innenhof/Garten platziert und dann ging es auch schon los.
Insgesamt waren es drei Gruppen à 4-5 Mitarbeiter. Das Ziel war, dass die Mitarbeiter erkannten, dass es ein offener Bruch mit einer Blutung war und entsprechend reagierten.
Die Instruktorin, welche die Gruppe begleitete und bewertete, gab ab und zu einen Tipp oder einen Hinweis von sich und an irgendeinem Punkt sagte sie dann, dass die Patientin nicht mehr reagierte und bewusstlos wurde. Hoppla, damit hatte ich nicht gerechnet, aber ich spielte so gut als möglich mit. Immerhin musste ich von dem Moment an nicht mehr reden;-)
Obwohl ich immer das gleiche medizinische Problem hatte, wurde ich 3mal unterschiedlich versorgt:
- Die erste Gruppe wusste erst nicht so recht was machen, kümmerte sich aber hervorragende um die kleinen harmlosen Wunden am anderen Arm und als ich das Bewusstsein verlor, wurde ich kurzerhand von 2 Männern gepackt und durch den Garten zum Parkplatz beim Haupteingang getragen wurde, wo die „Ambulanz“ wartete.
- Die zweite Gruppe war sich nicht so einig, was sie mit dem offenen Bruch machen sollten: offen lassen? Abdecken? Arm fixieren? Am Ende der Spiel-Zeit hatte ich dann aber immerhin einen schönen Verband:-)
- Die dritte Gruppe machte eigentlich einen guten Job mit meinem Bruch. Als ich dann aber ohnmächtig wurde, schien ihnen der Arm egal gewesen zu sein. Es kam kurz Hektik auf und dann wurde ich in Windeseile auf die Plastiktrage gelegt und angeschnallt, und zwar absolut sicher. Ich weiss bis heute nicht, mit wie vielen Klettdingern die mich festgeschnallt hatten. Auf jeden Fall banden sie mich so gut fest, dass ich kaum mehr Luft bekam und mich nicht mehr bewegen konnte. Und dann hoben sie mich auf und rannten fast durchs Areal bis zum Haupteingang. Ich hoffte einfach, dass niemand stolperte!
Das einzige, was bei jeder der 3 Gruppen gleich war, war der Gesichtsausdruck als sie mich englisch sprechen hörten: Erstaunen, Schrecken und dann ein Fragezeichen. Wie gerne hätte ich das fotografiert:-)
Am Ende des Nachmittags stand dann aber auch in meinem Gesicht der Schrecken! Was ja eigentlich nicht mehr als fair war;-) Zum Schluss des Kurses erhielten die Mitarbeiter nämlich noch eine kurze Rückmeldung von den Instruktoren und danach mussten auch wir beiden Patienten noch eine Rückmeldung geben zu ihrem geleisteten Einsatz. Warum bloss hatte mir das niemand vorher gesagt??
Auf dem Nachhauseweg wurde ich dann angefragt, ob ich nicht am Samstag nochmals mitkommen könnte. In einer anderen Firma sollten die Mitarbeiter auch noch den letzten Theorieblock erhalten und dann die Prüfung machen. Allerdings hätten sie noch keine Patienten gefunden…
Da ich keine konkreten Pläne hatte, sagte ich zu. Jetzt wusste ich ja, was auf mich zukommen würde:-)
Am Samstag fuhr ich dann also mit einer anderen Gruppe von Instruktoren zu einer anderen Firma. Im Theorieblock wurden die wichtigsten Dinge nochmals repetiert und ich lernte wieder eine Menge dazu:
- wie behandelt man eine Verbrennung? Ich wusste nicht, dass dieses Thema hier so wichtig ist. Und das es flüssige Vaseline gibt, die man immer zur Hand haben sollte. Ob ich das dann wirklich einsetzen werde, weiss ich noch nicht so recht.
- Wie wird ein Bruch richtig geschient? Bis die Ambulanz kommt, sollte der Bruch geschient werden, notfalls halt mit Karton. Ok, werde ich mir merken!
- Wie erkenne ich, dass jemand am Ersticken ist und wie führt man das Heimlich-Manöver durch? Das war in der Tat eine nützliche Repetition:-)
- Und zu guter Letzt noch kurz: Wie reanimiert man? Phuu, ich war echt erleichtert, dass dieses Thema doch noch kam.
Die praktische Prüfung war dann wieder äusserst spannend und lustig. Dieses mal musste ich 2 Szenarien spielen weil es nicht genug freiwillige Patienten hatte: eine Mutter, deren Kind zu ersticken drohte und eine Patientin mit 3.Grad-Verbrennung nach Stromunfall. Und das beste: die Instruktoren baten mich, doch wieder Englisch zu sprechen, denn die Mitarbeiter müssten auch solche Situationen meistern können;-) Irgendwie scheint sich das unter den Instruktoren des Roten Kreuzes bereits herumgesprochen zu haben…
Etwas vom Schönsten an diesen beiden Tagen war aber, zu sehen mit welchem Eifer die Leute dabei waren und mitmachten. Beim Üben wie ein Knochenbruch mit Karton ruhig gestellt werden kann, waren sie voll dabei und sehr kreativ. Ich glaube, so eine Begeisterung habe ich in der Schweiz nur bei Kindern gesehen:-)


